"Der Rabe aber sprach...."
Fotographie: Heinz Glashauser
Texte: Uwe Dick
Gib,
dass ich offen bin
für meinen Augen-Blick!
Nicht Jahre
Augenblicke
sind mein Leben.
Nein, euern way of life kann ich nicht gehen.
Er führt doch nur nach Profitopolis.
Was soll ich dort?
Mir etwa meine letzten Stunden
von einer Parkuhr abzähl´n lassen?
Nein, niemals, nie!
Euere Citys
mit just euren Dutzendgesichtern,
euer Man-lebt statt Ich-lebe.
Euer Geschrei und sonst nichts,
wenn Geldmacher euere Flüsse vergiften,
die Wiesen teeren, die Bäume köpfen...
Nein, diesen way of life kann ich nicht gehen.
Denn ich will leben.
Seit ich verflucht bin
zu sehen
was Völker
nicht sehen wollen
finde ich keinen Schlaf
Die Menschen
sind des Menschen Tod
Beim dreigehörnten Stier:
Ihr langweilt mich!
Aus euren Augen glotzen einzig Münzen.
Fürs Leben seid ihr blind,
ihr wohlgenährten Leichen;
Es lebt wer sieht.
Ein Mensch ist soviel wert,
wie seine Augen sehen.
Wirst hören das Lied der Schnurfigur
wirst vernehmen das Lied der Männermaus
wirst erspähen das Zauberkraut Amulang
das Kraut der Weisheit
das nur einmal wächst an einem Orte
wirst manche Antworten finden
und ewig neue Fragen
doch nie die Antwort auf die Frage
warum denn Erde stürzen muss
in eines jeden Menschen Mund
Komm sagte der Tote
und ich folgte ihm
(und des Raben Rat)
und es begann eine Reise
ohne Ankunft
ohne Wiederkehr
Jeder Baum
ist ein Baum der Erkenntnis
und es enthält der Apfel
so viele Möglichkeiten
wie das Meer
Im Menschen
vermag sich auszudehnen
das All.
Das Ding als Geschehen
Bei meinem Eintritt
halten die Mäuse inne.
Der Klopfkäfer
bricht seine Zählwerke ab.
Doch die Stille trügt:
Nichts hält den Gang der Dinge.
Der Tisch weint Heliadentränen.
Und Tauwind hölt den Biberstein.
Der Augfalter,
starr auf kalter Wand,
wird seinen letzten Tanz beginnen,
sobald ihn mein Kanonenofen weckt.
Und ehe noch
der unsichtbare Ast, auf dem ich sitze,
ein Gedichtblatt trägt,
pickt wieder
im Gebein der Dinge,
im Trohenholz
die Totenuhr.
Trauernd zwischen den Möbeln der Ahnen,
träumend vom Gastmahl am Blauen Tische
über den Wolken,
zürnend dem satten Bruder, der dem hungrigen
vorkaut und dabei Manieren predigt,
spuckend aufs Schmiergeld der Herrn Kipper und Wipper,
taub für euer genormtes Gequäke,
überdrüssig all euern Ismen und Schismen,
such ich das Weite.
Es locken die Mädchen,
zwitschernd, unter Arkaden.
Ich gebe nach, möchte küssen:
da blickt der Tod durchs Fenster.
Nicht schön. Doch gut zu wissen.
Denn wer ans Sterben denkt, beginnt
zu leben.
Tage reiten vorbei.
Hufe hämmern das Kopfsteinpflaster.
Turmfahnen knarren,
rosten und fallen.
Mauern wachsen
und sinken ins Erdreich.
Unterm Hufschlag der Tage
lebt die Schädelstraße.
Morgen setzen die Reiter
über unsere Köpfe.
Hufschlag ertönt.
Der Gegenreiter kommt.
Auf seinem Schilde:
meine Morgenträume.
In seinem Köcher:
tausend Pfeile Licht.
Ich aber greife zum Trommelkasten,
geschnitzt aus dem Holze des Weltenbaums,
vom Holze der Schönheit,
von wehrloser Schönheit,
die jeglichen Mannes Schutze bedarf,
und schlage die Weltenbaumtrommel
und poche - mein Herz ist mein Schlegel -
und poche und poche und singe
unhörbar für alle,
die noch bei Sinnen sind.
Wie eine blaue Taube
wird der Morgen landen.
Dich aber trägt der Reiter fort nach Westen.
Ins Wasser schrieben die Götter deinen Namen.
Vom Baume träumst du,
Auge bist du.
Lied wirst du werden,
Lied im Wind und über Wogen,
vom Menschen kaum vernommen,
doch vom Baum.
Drei Augen aber weiten deinen Tag,
wenn du auch noch mit deinem Herzen sehen lernst.
Dann wird dein Lied nicht lauter tönen
als dein Leben.
Kein Vogel Sirin soll stehen
auf meinem Grab
Kein Kreuz kein Maßliebchen kein Augenstern
nur Schlangenkraut und Taumelkerbel
ein wenig Fieberklee und Schwindelbeere
und wenn ihr wollt so setzt mir einen Stein
auf dem zu lesen steht:
Gott zu sehen in vielerlei Erscheinungen
konnte ich nicht umhin
Gott zu sehen von Angesicht zu Angesicht
war mir nicht gegeben.
Aber er sprach zu mir
auf nördlichem Eiland
Wenn Gott spricht
das tönt
wie ein Baum
voll von singenden Drosseln
Der Wind gibt unseren Worten
gar schnell einen anderen Sinn
Der Wind legt die Herzen frei
die unter der Asche glosen
Der Wind mischt unserem Wein
das Salz der Toten bei.
Allein die Bäume sind Gelassenheit.
Sie nehmen mich auf mit offenen Armen
und führen mich zu mir zurück.
Die Bäume wehren dem All.
Sie halten das Übermächtige fern
und weinen langsam fließende Tränen:
Augstein. Bornstein.
Und jeder Baum ist Augentrost.
Im Schutz der Bäume west der Geist des freien Tieres
und ihre Wurzeln gründen in der Traumzeit.
Werft euere Sägen fort, Menschen!
Grabt das Beil ein!
Haut euch nicht selber um!
Zu eurem Schutz müßt ihr den Waldgott schützen!
Denn furchtbar schlägt zurück,
des Abergottes Wind.
Und mindern keine Bäume seine Wucht,
so liegt entwurzelt Yggdrasil.
Der Baum ist inne meiner Lieder.
Er trinkt den Vogelruf mit tausend Ohren.
Du glaubst es nicht?
Brich einen grünen Zweig
und wirf ihn in ein Feuer:
so wird er zwitschern in der Glut.
Wir kamen im Lichte über das Wasser
und gingen die Totenstraße hinunter:
Beinladen beiderseits,
Urnenschränke aus kaltem, grauen Gestein,
Blutstropfenrote künstliche Rosen,
Photos von artig gekämmten Kindern;
vergilbtes Lächeln. Wem?
Schritt für Schritt:
Wer kennt die Namen?
Schritt für Schritt:
und wer bin ich?
Augenlose Reiter.
Reiter ohne Gesichter.
Doch jeder in roten Schuhen,
ein jeder mit purpurnen Mantel,
und Haupt und Krone
sind eins in der Sonne.
Und ihrer Schilde Heraldik
- der Baum, die Woge, das Auge -
lenkt mich vom Ende ab,
hält mich in Atem.
Ich trinke Bilder:
Theriak gegen den Tod.
Wie lange noch?
Vieles vermag Schönheit.
Aber das Eis entriegelt sie nicht.
Das Eis der Leute mit dem eiskalten Blick,
das Eis der eiskalten Rechner,
das schmutzige, schuttbeladene Eis,
das Wälder und Tiere verbannt
und bald auch beiseite schiebt uns Menschen,
das häßliche Eis zu brechen,
ist Schönheit zu schwach.
Heute sitz ich in des Tages Sattel,
windgegürtet über Wolken
und mit meinen besten Freunden
zeche ich am Tafelberg.
Heute leb ich, heute, heute:
Tausend Jahre sind mein Tag.
Der Mond trug eine Krone.
Venus ging bärtig über den Himmel:
Wahrlich, den Ungeborenen und Toten
wird morgen am wohlsten sein.
So singt mein Ahn vor Tau und Tag.
Da ihn mein Ruf erreicht,
steigt er als Rauch empor.
Blau steht die Wolke überm Geisterberg.
Da ging ein Schatten über Land
(der Schatten Gottes auf der Erde?)
Die Menschen sagten: Das ist die Nacht
"Damit es Tag wird" bat das Kind"
"zünd - Mutter - doc<h die Sonne an!"
Das Kind ist näher dem Namenlosen
hat manche Erinnerung
ist weise wie mancher Greis
und der Tod hat weniger Schrecken
Wir alle kommen aus dem Namenlosen
nur wenig treffen wir mit unserem Wort
tiefer
rührt unser
Schweigen.
Zweifalter über seinem Grab
Zweifalter über seinem Grab,
des Lichtes Wagen
und der Sternengang.
Wo bist du, Freund?
Schweigen.
Worte wehen hinab in den Kolk.
Nicht kann des Blutfinks Tschiwitt,
nicht kann des Taubhorns Gurrith,
nicht kann des Nachbarn "Wie geht´s?"
nicht kann der Häsin "Wie steht´s?"
nicht kann des Pfaffen Bravade,
nicht kann der Weltstadt Tamtam,
noch kann des Donners Paukenschlag
dies Schweigen übertönen.
Gottes Wind der Todeswind
trieb die Toten der Welt
durch mein Zimmer:
eine Wolke Gesichter
zog an meinem Bett vorüber
wie Dampf durch eine Küche geht.
Im Schornstein aber
des Raben Stimme sprach:
Folge ihnen!
"Der Rabe aber sprach...."
(Zur Ausstellungseröffnung am 19.10.2000)
So heißt der Titel meiner Ausstellung. Der Rabe erscheint am Anfang, in der Mitte und am Schluss der Ausstellung. Er ist der Erzähler, der gleichzeitig dem Betrachter den Weg durch die Ausstellung
weist. Der Rabe ist ein Symbol für Tod aber auch für Auferstehung. Die Todesgöttin wurde auch als Rabe dargestellt. Sie war aber gleichzeitig auch die Göttin für die Lebenserneuerung. Der Rabe als
Symbol der „Anderswelt" sitzt heute noch auf der Schulter der Hexe, der Zauberin. Im Märchen ist der Rabe häufig der Seelenvogel, der den Helden an mysteriöse, unterirdische Orte fuhrt oder ihn in
Geheimnisse des Jenseits einweiht.
Als ich die Bilder 1991 in Regensburg in der Galerie „Unter den Arkaden"
ausstellte, lag ein kleines Buch an einem Tisch, in dem die Besucher ihre
Eindrücke eintragen konnten.
Es waren nicht wenige dabei, die damals den Text für zu düster und bedrohlich hielten, weil fast überall, der Tod eine Rolle spielte.
Gerade diese Tatsache aber zog mich an den Texten von Uwe Dick an. Weil dieser, wie ich, spürte, welche Bedeutung der Tod in jedem Augenblick unseres Lebens hat.
Er schreibt:
„Gib, dass ich offen bin für meinen Augen-Blick
nicht Jahre, Augenblicke sind mein Leben."
Dieser Satz könnte gleichzeitig der erste Leitsatz für meine Ausstellung sein. Der Tod, die Vergänglichkeit gibt dem Augenblick erst seine Fülle, seine Faszination. Ist der Augenblick vorbei, so ist dieser nicht wiederholbar. Ein Augenblick, der sich endlos wiederholen ließe, wäre bedeutungslos und eigentlich schon tod. Im Augenblick wird die Zeit wie in einem Brennglas gebündelt. Gewicht und Leichtigkeit der Zeit leuchten für einen kurzen Moment auf. Die Vergänglichkeit erweckt den Augenblick erst zum Leben. Anders ausgedrückt: Der Tod haucht dem Augenblick erst das Leben ein.
Uwe Dick schreibt in einem Gedicht:
Es locken die Mädchen zwitschernd, unter Arkaden.
Ich gebe nach, möchte küssen:
da blickt der Tod durchs Fenster.
Nicht schön. Doch gut zu wissen.
Denn wer ans Sterben denkt,
beginnt zu leben."
Und dies könnte der zweite Leitsatz sein: „Wer ans Sterben denkt, beginnt zu leben."
Ich habe jahrelang nach Texten für meine Bilder gesucht, aber keine besseren gefunden. So war ich geradezu begeistert, als ich in „Theriak" diese Texte fand.
Das Thema „Tod" in Gedichten ist nachvollziehbar. Was aber hat der Tod mit meiner Photographie zu tun?
Ich will versuchen, es kurz zu erklären. Wann entsteht ein Bild? Halte ich die Kamera ans Licht und drücke ab, so wird das Bild weiß und es ist nichts darauf erkennbar. Habe ich vergessen den
Objektivdeckel herunterzumachen wird das Bild schwarz. Es ist ebenfalls nichts erkennbar.
Schaue ich mit den Augen ständig ins Licht, werde ich blind. Lebe ich ständig im Dunkeln, werde ich ebenfalls blind.
Gott sagte, es werde Licht und es ward Licht.
Es stimmt:
Erst mit dem ersten Lichtstrahl, der ins Dunkel dringt entsteht Leben.
Ebenso stimmt aber:
Erst mit dem ersten Schattenstrahl, der ins Licht dringt, entsteht Leben.
Das Leben besteht aus den unendlich verschiedenen Zwischentönen, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Hell und Dunkel, zwischen Finsternis und Licht.
Ich muss auch der Finsternis, dem Dunklen, das mich ängstigt, Raum in mir lassen, damit mein Leben reich an Zwischentönen wird. Dies wollen die meisten nicht wahrhaben. Sie wollen ans helle Licht,
ohne zu merken, dass dadurch ihr Bild flach und langweilig wirkt.
Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Es gilt: „Der erste Lichtstrahl, der in das Dunkel dringt, erweckt das Leben."
Es gilt ebenso: „Der erste Schattenstrahl, der ins Licht dringt, erweckt das Leben."
„Mitten im Leben, sind wir vom Tod umfangen." Wahrscheinlich darf man den Satz auch umdrehen: „Mitten im Tode, sind wir vom Leben umfangen."
Wie könnte man die Wechselbeziehung zwischen Leben und Tod, zwischen Licht und Dunkel, besser darstellen als mit Schwarz-Weiß-Fotografie, die eigentlich gar nicht schwarz-weiß ist, sondern durch das,
was dazwischen ist,
zum Leben erweckt wird. Der Tod haucht dem Augenblick erst das Leben ein.
Heinz Glashauser